Jüdische Spurensuche in Kirchheim unter Teck

 

 

Jüdische Spurensuche in Kirchheim

1933 lebten noch 30.jüdische Menschen in Kirchheim. Sie führten Ladengeschäfte (Bekleidung, Tuche, Gardinen, Schuhe), waren selbstständige Viehhändler, engagierten sich in Sportvereinen und bei der Freiwilligen Feuerwehr und waren – z.T. hochdekorierte - Weltkrieg-1-Teilnehmer. Nach Ende des 2. Weltkriegs war – „dank“ der Judenverfolgung und –ermordung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus – das jüdische Leben aus Kirchheim verschwunden. Auch das Wissen über die früheren Mitbürger war fast vollkommen verschüttet, nur die Älteren unter den Kirchheimern hatten Erinnerungen bewahrt.

Brigitte Kneher sah es als ihre Aufgabe an, dieses Wissen wieder aus der Versenkung zu holen. Warum tat sie das? Es sind vor allem die Bilder aus Auschwitz, die sie nicht mehr losließen und die sie zu ihrer Spurensuche motivierten, um gegen das Verdrängen und Vergessen anzugehen. Ihr Lebenslauf spielt sicher auch eine Rolle: geboren in eine Templer-Familie (schwäbische Bauern und Handwerker, die ihren christlichen Glauben im Heiligen Land leben wollten), verbrachte sie ihre Kindheit in Palästina; während des 2. Weltkriegs wurde die Familie, wie alle Templer, ausgewiesen aus Palästina (damals unter britischem Mandat) und ausgetauscht gegen jüdische Häftlinge aus Bergen-Belsen. Über Umwege landete die Familie dann wieder im Schwäbischen.

In Kirchheim,. das ihr 1971 zur neuen Heimat wurde, musste sie praktisch bei Null anfangen. Im Stadtarchiv wurde sie kaum fündig, und so fing sie an, eine Namensliste der früheren jüdischen Kirchheimer zu erstellen. Über einen Zeitungsaufruf im Teckboten kam sie zur ersten Adresse, danach ergab sich eins aus dem anderen. 1985 erschien in der 3. Ausgabe der „Schriftenreihe des Stadtarchivs“ ihre Dokumentation mit vielen Bildern, woraus gleichzeitig eine Ausstellung im Kornhauskeller entstand. Die Stadt Kirchheim unter OB Hauser sagte ihre Unterstützung zu bei der Einladung der früheren Kirchheimer Juden, und so kam es, dass sich 1986 die ersten nach Kirchheim wagten. Man kann verstehen, dass sie dies eine ungeheure Überwindung gekostet hat, aber alle, die kamen, waren hinterher glücklich, dass sie es gewagt hatten. „Noch einmal heimkommen!“ Es kamen – und kommen immer noch!- auch die Kinder und Enkel, und Freundschaften entstanden, die bis heute andauern. Ist es nicht bemerkenswert, dass viele ehemalige Kirchheimer Juden wieder die deutsche Staatsbürgerschaft haben?

Bei der Spurensuche ging es noch einen Schritt weiter. Dr. Silvia Oberhauser, Stadträtin der Frauenliste, wurde bei einem Besuch in Berlin im Herbst 2006 auf die Aktion des Künstlers Gunter Demnig aufmerksam. Durch sogenannte Stolpersteine, die er vor der letzten selbstgewählten Wohnstätte ins Pflaster einlässt, erinnert er an die jüdischen Mitbürger und andere Opfer der NS-Zeit. Sie konnte den Künstler auch für Kirchheim gewinnen, und so finden aufmerksame Passanten an verschiedenen Stellen der Stadt „leuchtende“ Pflastersteine aus Messing mit den Namen der früheren Bewohner, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Erfreulich, dass genügend Spendengelder zusammenkamen für diese Aktion! Die Nachkommen der mit den Stolpersteinen Geehrten sind froh darüber, dass die Person, deren Name auf dem Stolperstein steht, auf diese Weise wieder präsent ist und dass sie hier einen Ort des Erinnerns haben. Schauen Sie doch ab und zu auf das Kirchheimer Straßenpflaster!

Brigitte Kneher ist noch immer mit Leib und Seele bei ihrem Thema. Sie korrespondiert mit vielen jüdischen Kirchheimern, empfängt sie, zusammen mit ihrem Mann, bei sich zu Hause, hilft mit Rat und Tat – kurz, es lässt sie nicht los. Ihr Wissen gibt sie bei Stadtführungen weiter, und was sie besonders freut: Schulen fordern sie an, damit gerade die junge Generation aus den schlimmen Vorkommnissen lernen kann.

Toni Sauer

Fotos: Eigentum B. Kneher

Bildunterschriften:

Ehemaliges Geschäft Salmon (heute Café Mohrenköpfle, Dettinger Str. 4)

Zwei Weltkrieg-1-Teilnehmer, einer ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz (Gustav und Willy Reutlinger)

„Stolpersteine“ für die Familie Reutlinger (Alleenstr. 87)

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