Neues von der Teck - Sybille

 

 

Neues von der Teck-Sibylle

Sibylle von der Teck residierte zu Zeiten der Nibelungen in einem unterirdischen Schloss, direkt unter der oberirdischen Teckburg. Zu Ihrem Palast gelangte man durch eine Höhle, das Sibyllenloch, welches immer noch vorhanden und rußig ist. Eines schönen Tages aber, ist Sibylle mit unbekanntem Ziel verzogen. Samt Hausrat flitzte sie auf einem goldenen Wagen übers Tal hinweg, auf und davon. Manche berichten auch von einem feurigen Wagen.- Soweit die Sage in Kurzform. - Im Frühling ist die Wagenspur noch heute in den Feldern und Fluren deutlich wahrnehmbar.

Lassen wir mal offen, ob der Möbelwagen aus Gold gezimmert oder feurig war. Die Frage ist doch, wie brachte Bylle - so wurde sie von den maulfaulen Leuten kameradschaftlich genannt - das Vehikel auf den Berg, wo doch unten seit Menschengedenken eine Schranke die Zufahrt versperrt? Archäologisch ist nachgewiesen, dass die Sibyllenspur im Tal die Reste eines römischen Schutzwalls sind. (Diese Horrormeldung bringt natürlich die ganze schöne Sage ins Wanken - egal!) Möglicherweise war die Schranke aber auch schon Teil der römischen Verteidigungsanlage und ist dann auf jeden Fall älter als Bylles Luxusbunker - die Zufahrt war eindeutig versperrt. Ist Bylle aber mit der Schubkarre umgesiedelt, kann sie im Tal keine mehrere Meter breite Spur hinterlassen haben - auch klar!

Die noch drängendere Frage, welche den Bewohnern des Lenninger Tales seit Generationen auf's Gewissen drückt, ist aber, wer hat Bylle so verprellt? Ihren missratenen Söhnen, die sich nicht mehr wehren können, pharisäerhaft die Schuld in die Schuhe zu schieben, hat ein G'schmäckle, wie man sehen wird. Warum ist sie aber, fast panikartig, ausgerissen? Ging ihr der abgeleierte Minnegesang auf der Burg über ihrem Schlafgemach auf die Nerven? Wurmte es Bylle, dass man oben vergessen hatte, sie als Ehrendame zum Bezirks-Ritterturnier Mittlerer Neckar einzuladen? Wurde ihr von den Schnapsbrennereien unten in Owen übel? Nein - die Fluchtursache war sehr wahrscheinlich eine Brandserie. Vielleicht war mal beim Zwiebelbrutzeln für die Kässpätzle Feuer in der Schlossküche ausgebrochen? Vielleicht hat kurz darauf eine abgebrannte Kerze ihr Himmelbett entzündet, in dem sie über der Lektüre der neuesten Sagen eingenickt war oder qualmte es aus dem Loch, weil die schlampigen Burgbewohner immer wieder ihr Gerümpel in Bylles Kaminschacht kippten? Über die Brandursachen ließ man Gras wachsen! Dafür wird aber klar, woher die Wagenspur zwischen Dettingen und dem Teckberg stammt: Es war die Dettinger Feuerwehr! Immer wenn es im Sybillenloch verdächtig qualmte, rumpelte sie mit einem Wagen voll Wasserfässern zum Löscheinsatz über die Rübenäcker. Und weil die praktische Saug-Druck-Pumpe noch nicht erfunden war, bildeten trinkgeldfreudige Helfer flugs eine Eimerkette vom Bölle bis zur Brandstelle. Eifrige Museumsbesucher wissen, dass dabei Ledereimer verwendet wurden.

 

 

Blecheimer waren für die kommunalen Feuerwehren nämlich unerschwinglich, denn die ohnehin knappen Blechvorräte wurden von profitgierigen Blechmodedesignern zum Schneidern von vornehm scheppernden Ritterrüstungen zu jedem Preis aufgekauft.

Bylle war aber nicht nur geheimnisvoll, sie war auch von überwältigendem Liebreiz. Nichts beschäftigte die weibsüchtigen Kerle im Tale deshalb mehr als um die Huld der "Schönsten vom Albrand" zu buhlen. Und immer, wenn sie diese in Not wähnten, stürmten sie, an der wackeren Eimerkette vorbei, auf den Berg, stürzten todesmutig in die Höhle und zerrten die sich sträubende Bylle heldenhaft ins Freie, wo sie dann, fix und fertig japsend, darauf warteten, dass dieselbe einem der Siegfriedverschnitte willenlos in die starken Arme sinken möge. Dieses Drama muss sich wohl serienartig wiederholt haben, und in Sibyllchens hübschem Köpfchen reifte der Verdacht, dass die rätselhaften Feuerchen im Höhleneingang von den aufdringlich balzenden Hochzeitern für deren höchst zweifelhafte Rettungstaten selbst angezündet wurden: Ahaaaa! Als sie dann noch von den muffigen Rittersleut' auf der Burg über dem verrußten Sibyllenloch wegen der pausenlosen Qualmerei angemacht wurde, war das Maß voll: Der ganze stressige Minnedienst sei doch komplett für die Katz', meckerten die Blechmannen 'rum, wenn überall, im Eckturm, in den Kemenaten und in der Besenkammer statt romantischer amore nur noch Rauchvergiftung angesagt sei. Sie soll doch mit ihrem Mief die Typen auf dem Hohenneuffen beglücken, hieß es. "Die fallen aus Dankbarkeit auf die Knie, wenn sie mal etwas Anderes schnuppern dürfen als ihren grauenhaften Simsakreblser, dem sie ihre kürbisgroßen Nierensteine verdanken", versicherten ihr die Streithammel. - Es reichte! Sybille zog aus.

Vermutlich wurden ihre Siebensachen von der nächsten Eimerkette nach unten zum Feuer- wehrwagen durchgereicht und abtransportiert. Dann wäre die Wagenspur im Tal tatsächlich auch die Sibyllenspur und die These vom "feurigen" Wagen erhärtet! Die Spur verläuft in Richtung Hahnweide, und wenn nicht alle Sagen täuschen, tummelt sich Bylle inzwischen als Nixe in den Bürgerseen, möglicherweise sogar Flosse an Flosse mit "Laule", der den Blau- beurern ebenfalls schon seit längerem abhanden gekommenen "Schönen Lau" aus dem dortigen Blautopf.

Gunter R. Schwäble

Bild:

Das Sibyllenloch unterhalb der Teckburg. Von der Vorhalle führt ein türartiger Eingang ins Innere der Höhle zu Bylles Schloss. Hie rvon ist auf den ersten Blick allerdings nicht viel zu sehen, was aber niemanden wundert, denn auch Schlösser und Burgen (s. Ruine darüber) halten nicht ewig.

Gunter R. Schwäble

 

 

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