Frauenwahlrecht in Kirchheim unter Teck

 

 

 

Frauenwahlrecht in Kirchheim – die ersten Gemeinderätinnen

Die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution 1789 blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Frauen in Württemberg. Insbesondere zunehmende Schulbildung, die Möglichkeit, sich in Vereinen zu engagieren und das Erstarken des Bürgertums in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, ebneten den Weg für die Entwicklung der Frauenbewegung ab 1862. Louise Otto-Peters, die Begründerin der bürgerlichen Frauenbewegung, forderte bereits 1843 „die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“. Für die proletarische Frauenbewegung mit ihrer Galionsfigur Clara Zetkin stand das Frauenwahlrecht von Anfang an auf dem Programm.

Nach Ende des 1. Weltkrieges, am 12. November 1918, erhielten Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. Im Vorfeld der Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 wurde auch in Kirchheim um Frauen als Parteimitglieder und vor allem als Wählerinnen massiv geworben. Am 25. Mai 1919 fand die erste Kommunalwahl statt. Frauen machten von ihrem Wahlrecht rege Gebrauch, waren allerdings nur sehr schwer zur Kandidatur zu bewegen gewesen.

Bis in die 1970er Jahre hinein fanden sich auf allen Listen nur vereinzelt Frauen, die sich zur Wahl stellten. Erst 1947 wurde mit Frieda Keppler (CDU) die erste Frau in den Gemeinderat gewählt. Den Wahlerfolg hatte Frieda Keppler ihrer großen Popularität zu verdanken. Sie war durch ihre Arbeit als Hebamme vielen Kirchheimern persönlich bekannt. In den sechs Jahren ihrer Amtszeit setzte sie sich ein für die Abhilfe der unhaltbaren Zustände in der Kinderkrippe, für Kinderspielplätze und für die Not der Neubürger. 1951 wurde die um die Not der Menschen wissende Hebamme mit großer Mehrheit in den Sozialausschuss gewählt, wo sie auch noch nach ihrem Ausscheiden vier Jahre mitwirkte.

1956 folgte die Hauptlehrerin Martha Siegl (CDU), die, selbst Sudetendeutsche, starke Unterstützung aus dem Lager der Heimatvertriebenen erhielt. Martha Siegl kandidierte für die Unabhängige Wählerliste von CDU/FDP und gehörte dem beratenden Sozialausschuss an, ebenso wurde sie in den Ortsschulrat der Frauenarbeits- und hauswirtschaftlichen Berufsschule gewählt. Besondere Weitsicht auf pädagogischem Gebiet lässt ihr Einsatz für die Einrichtung eines Schulkindergartens in der Teckstadt erkennen. Sie argumentierte 1958 für diese Einrichtung und stand damit alleine da. In ihrer Meinung fortschrittlich war sie auch beim Thema Kinderspielplatz im Wohngebiet Rauner. Hier folgte das Gremium ebenfalls nicht ihren Argumenten und lehnte einen öffentlichen Kinderspielplatz ab. Sie setzte sich für neue Schulräume ein, für den Bau eines Hallenbades und vertrat in stadtplanerischen Vorhaben ihren Standpunkt tatkräftig.

Nach sechs „frauenfreien“ Jahren schaffte Lore Maier (SPD) 1968 den Sprung ins Gremium, dem sie dann 21 Jahre angehörte. Sie begründete den Seniorentreff mit und veranstaltete Altennachmittage. Für die Kinder organisierte sie den Kindernachmittag im Rahmen der „Goldenen Oktobertage“ und das heute noch stattfindende Laternenfest. Auf ihre Mitinitiative hin wurde das Stadtfest ins Leben gerufen, um den Vereinen Einnahmemöglichkeiten zu verschaffen. Sie war engagiertes Mitglied im Rad- und Kraftfahrverein. Die überaus beliebte Stadträtin wurde bei der Gemeinderatswahl 1984 Stimmenkönigin. Als Lore Maier 1989 nach schwerer Krankheit starb, zollte ihr die Kirchheimer Bevölkerung eine überwältigende Wertschätzung.

1971 kam mit den erstmals in Kirchheim antretenden NEUEN etwas vom frischen Wind der 68er Generation in Kirchheim an. 1975 wurde Ursula Schenk, geb. Schöllkopf, für Die Neuen in den Gemeinderat gewählt. Die Anfänge der Neuen lagen im Umfeld des club bastion e.V. , der mit seiner umstrittenen Eröffnungsfeier Probleme mit dem Gemeinderat bekam. Als die Bastionsmitglieder in diesem Rechtsstreit gewannen, entschlossen sie sich 1971, selbst in den Gemeinderat zu kommen. Ursula Schöllkopf hatte die Amnesty-International-Gruppe in Kirchheim mitbegründet und war im Ausländerausschuss als Beraterin tätig. Von 1975 bis 1980 Stadträtin, saß sie im Sozialausschuss und engagierte sich für Kinderspielplätze.

 

 

 

Auch das Thema „Frauen“ kam seit dem Wahlkampf 1971 in Schwung, auch wenn sich dies nicht gravierend im Wahlergebnis niederschlug. 1975 trat Sybille Köber für die Freien Wähler an und engagierte sich bis 2004 im Stadtrat. Großen Wert legte sie darauf, ohne Fraktionszwang ihre Meinung kund zu tun. So stimmte sie z.B. gegen den Bau des Teck-Centers. Sie wollte außerdem nicht nur die typisch weiblichen Themen besetzen und kam als erste Frau in den technischen Ausschuss. Als erste Stadträtin übernahm sie den Fraktionsvorsitz. Sie engagierte sich im Ausländerarbeitskreis und im Integrationsausschuss, ebenso wie in der Senioren- und Kinder- und Jugendarbeit. Ein großes Anliegen war ihr die Gründung eines Frauenhauses. Höhepunkt ihrer kommunalpolitischen Karriere war ihre Wahl in den Kreistag 1999.

Hannelore Bodamer wurde insgesamt sechs Mal für die CDU-Fraktion in den Gemeinderat gewählt und gestaltete von 1975 bis 2004 das Wohl der Stadt mit. Sie vertrat ihre Meinung im Schul-, Sport-, Kulturausschuss, im Sozialausschuss, im Kindergartenausschuss, aber auch im Finanz- und Verwaltungsausschuss. Seit 1979 war sie Mitglied des Kreistages. Sie arbeitete als Vorstand des Vereins Lebenshilfe e.V. , rief 1980 den Seniorentanzkreis ins Leben und organisierte den Kinderfasching. Anlässlich ihres 65. Geburtstages 1995 erhielt sie dafür das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Die Zahl der Kandidatinnen entwickelte sich bei den Kommunalwahlen 1980 und 1984 zwar allmählich nach oben, nicht aber der Anteil der Frauen im Kirchheimer Gemeinderat.

Ab 1989 veränderte sich die Berichterstattung in der Lokalpresse deutlich. Nun ging es gezielt um Inhalte einer Politik von Frauen und für Frauen. Alle Parteien strichen ihre Kompetenz zu Frauenfragen heraus, was in Wahlanzeigen (Teckbote v. 14.10.1989), hier von der SPD, so aussah: „Die Menschheit besteht zur Hälfte aus Männern und Frauen. Warum nicht auch der Kirchheimer Gemeinderat?“ Von dieser Hälfte blieb das Wahlergebnis dann aber mit nur fünf Frauen unter 27 Männern im Ratsrund weit entfernt. Der Anteil der Kandidatinnen stieg in den Folgejahren kontinuierlich an und verdreifachte sich bis zur Wahl 2004, nicht zuletzt auch durch die neu angetretene Frauenliste. Die Zahl der Gemeinderätinnen stagnierte allerdings im gleichen Zeitraum bei sieben und ist inzwischen auf sechs gesunken. Auch wenn das Gros der Frauen heute bestens ausgebildet ist, so üben Frauen doch häufig weniger öffentlichkeitswirksame Berufe aus, leisten nach wie vor den Löwenanteil an der Erziehungsarbeit, wodurch sie mehr im häuslichen Bereich gebunden sind, und übernehmen auch im Ehrenamt eher soziale als repräsentative Aufgaben. Wählerinnen wählen offensichtlich weniger Wahlbewerberinnen, weil sie ihnen nicht zutrauen, was sie sich selbst nicht zutrauen. Bleibt zu hoffen, dass die politischen Kompetenzen von Frauen, egal welcher Partei, bei der nächsten Kommunalwahl zur Kenntnis genommen und honoriert werden. Eine umfassende Darstellung des Themas findet sich in Band 32 der Schriftenreihe des Stadtarchivs, der vor Ende 2008 erscheinen wird.

Silvia Oberhauser/Renate Schattel

Bilder:

Sitzung: Sitzung des Kirchheimer Gemeinderats (ca. 1960), in der Mitte, als einzige Frau, Martha Siegl

Stehend: Kirchheimer Gemeinderat (25.7.1984). Vordere Reihe: Hannelore Bodamer, Sybille Köber, Lore Maier (3., 4., 5. v.li.)

Quelle für beide Bilder: Stadtarchiv

 

 

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